Niederländisch und Deutsch sind nicht nur geografisch gesehen Nachbarsprachen. Sie gehören beide zu den westgermanischen Sprachen und sind sich sehr ähnlich. Der Abstand ist in etwa mit demjenigen zwischen Spanisch und Portugiesisch vergleichbar.
Ich habe mich schon lange für die Niederlande, ihre Geschichte und Kultur interessiert. Auch beruflich habe ich immer wieder mit dem Niederländischen zu tun. Also habe ich mich für einen Intensiv-Sprachkurs in Amsterdam angemeldet. Dort werden Kurse speziell für Deutsch-Muttersprachler angeboten, denn die Lernprogression ist natürlich viel schneller als z.B. bei Spanisch- oder Russisch-Muttersprachlern und schneller als in gemischten Gruppen wie Sommerkursen an niederländischen Universitäten.
Gleich am ersten Tag stellte ich fest, dass „intensiv“ wirklich ernst zu nehmen war. Der Unterricht umfasste sechs Stunden am Tag, dazu kamen nochmal zwei bis drei Stunden abends für Hausaufgaben und Vokabelübungen. Das ist das „total immersion“-Prinzip, also das völlige Eintauchen in die Sprache: Der Unterricht, bei dem sich zwei Lehrerinnen für je 3 Stunden täglich abwechselten, wurde komplett auf Niederländisch abgehalten. Wir durften zwar Fragen auf Deutsch stellen, aber die Antwort erfolgte immer in der Fremdsprache.
Da wir ja in Amsterdam auch in einer niederländischsprachigen Umgebung waren, waren wir also den ganzen Tag von der Sprache umgeben, hörten und lasen überall Niederländisch. Ursprünglich wird die Immersion (auch „Sprachbad“ genannt) genutzt, um den Spracherwerb wie in der Muttersprache zu gestalten, beispielsweise für Kinder in zweisprachigen Kindergärten und Schulen. In unserem Fall wurde dieses Eintauchen in die Sprache mit systematischem Fremdsprachenerwerb kombiniert.
Wir waren 14 Sprachschüler im Kurs, von denen allerdings nur drei (darunter ich) völlige Anfänger waren. Alle anderen sprachen bereits einfache Sätze und hatten ein gutes Hörverständnis, da sie entweder niederländische Partner hatten oder seit einiger Zeit in Amsterdam lebten. Der erste Tag war so ziemlich das härteste, was ich jemals an Unterricht hatte, aber dann wurde es Tag für Tag einfacher und besser.
Schwerpunkte des Kurses waren Hörverständnis, Konversation und eigene Textproduktion. Das Leseverständnis wurde vorausgesetzt. Es zeigte sich, dass die Nähe zum Deutschen wirklich ein großer Vorteil ist: Viele Grammatikphänomene mussten nicht lange erklärt und gelernt werden, sondern die Lehrerin sagte einfach „Das ist wie im Deutschen“. Dazu gehört unter anderem die Inversion nach bestimmten Konjunktionen: nach deshalb, trotzdem und anderen lautet die Folge der Satzteile Verb – Subjekt, nicht Subjekt – Verb.
Es gibt aber auch ähnliche Schwierigkeiten wie im Deutschen, zum Beispiel das Genus der Substantive (männlich, weiblich, sächlich). Das Vokabellernen ist für die aktive Sprachverwendung notwendig, fällt aber nicht so schwer wie in weit vom Deutschen entfernten Sprachen. Die unregelmäßigen Verben, von denen es sehr viel gibt, werden häufig ähnlich wie im Englischen konjugiert.
Und dann gibt es wie zwischen allen eng verwandten Sprachen natürlich die falschen Freunde (niederländisch meer = deutsch See; niederländisch zee = deutsch Meer) und Wörter, die für unsere Ohren niedlich oder lustig klingen. Wir verstehen sie, aber im Deutschen stellen sie nicht die unmarkierte Mitte dar, sondern sind emotional konnotiert: Niederländisch beest verstehen wir Deutsch-Muttersprachler als „Lebewesen, nicht Mensch, also Tier“. Im Deutschen ist das Wort derselben Herkunft, nämlich Biest, aber konnotiert als „Lebewesen, meistens Tier, übertragen auch Mensch; unangenehm, wild, schädlich“.
Nach zwei Wochen – also zehn mal sechs Unterrichtsstunden – sollten wir auf Niveau B1 angekommen sein, das hat bei etwa zwei Drittel der Teilnehmer auch funktioniert. Ich konnte direkt nach Abschluss des Kurses mich in Alltagssituationen und Gesprächen ohne größere Probleme ausdrücken und konnte kleinere Texte schreiben. Am meisten Probleme hatte und habe ich noch mit Hörverständnis im Alltag und bei der Umgangssprache. Zurück im deutschsprachigen Alltag geht die aktive Sprachkompetenz leider sehr schnell wieder verloren.
Auch für Landeskunde und Kultur bleibt bei solch einem Intensivkurs leider nicht viel Zeit. Immerhin habe ich gelernt, dass sich die Niederlande in ihrer Sprache, Kultur und Gesellschaft stark unterscheiden: in der Randstad (der Ballungsraum um Amsterdam, Leiden, Den Haag, Rotterdam, Utrecht, Almere) wird ganz anders gesprochen als in Friesland oder Limburg, auch die Gebräuche und die Kultur unterscheiden sich wesentlich.
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