Wenn man jemanden fragt, welches die schwerste Sprache der Welt ist, wird er vermutlich etwas wie Japanisch, Chinesisch oder Arabisch sagen, auf jeden Fall eine Sprache, die weit vom Englischen entfernt ist. In Wirklichkeit gibt es keine „schwerste“ Sprache.
Wie schwer eine Sprache ist, hängt vom sprachlichen Hintergrund des Lernenden ab. Chinesisch ist für Koreaner viel einfacher zu lernen als für Westler und Hebräisch-Sprecher finden Arabisch leicht zu erlernen. Die sprachliche Ähnlichkeit zwischen der Muttersprache des Lernenden und der Sprache, die er oder sie lernt, bestimmt im Wesentlichen den Schwierigkeitsgrad dieser neuen Sprache.
Die Zahl der verwandten Wörter in den beiden Sprachen, die Ähnlichkeiten in der Grammatik, bei bestimmten grammatischen Strukturen und in der Phonetik bestimmen unter anderem, wie schwierig eine Sprache für die Sprecher einer bestimmten Muttersprache ist.
[pullquote]Es gibt keine wirklich „schwerste“ Sprache![/pullquote]
Aber der Schwierigkeitsgrad beim Erlernen einer Sprache ist viel komplizierter als nur das. Hier kommen größere soziokulturelle Fragen ins Spiel. Wenn ein Lernender in einer ethnolinguistischen Gemeinschaft der Zielsprache lebt und sich ihr eng verbunden fühlt, hat er gute Chancen auf Erfolg. Wenn er diese aber eher ablehnt, sinken seine Erfolgsaussichten rapide. Man kann sagen, dass die Erfolgsaussichten direkt proportional zur Bereitschaft sind, am Leben in der Zielsprache teilzunehmen.
Ob ein Sprachlerner sich als Teil der aufnehmenden Kultur [Gastkultur] sieht oder nicht, spielt eine enorme Rolle dabei, wie er kommuniziert oder eben nicht kommuniziert, und damit, welchen Erfolg er beim Erlernen der Sprache hat oder nicht.
Wenn eine Amerikanerin nach Frankreich zieht, nimmt sie sich wahrscheinlich im weitesten Sinne als Teil ihrer neuen Heimat wahr und nimmt bereitwillig am Leben dort teil. Wenn sie aber nach Usbekistan zieht, ist die Wahrscheinlichkeit größer, dass sie sich nicht als Teil dessen wahrnimmt und daher – vor allem am Anfang – nur widerstrebend am Leben teilnimmt.
Die Wahrnehmung der kulturellen Distanz zwischen der Herkunftskultur und der aufnehmenden Kultur beeinflusst also ganz wesentlich, wie ein Sprachlerner an der neuen Gesellschaft teilnimmt. Es gibt ganz reale, wenn auch nicht quantifizierbare Unterschiede in der kulturellen Distanz: Wie eine Gesellschaft funktioniert und wie deren Sicht auf die Welt ist, betrifft einen Sprachlerner ganz direkt.
Die zentrale Frage hat mit der Einstellung des Lernenden zu tun: Ist er oder sie bereit, allmählich Teil der Zielgesellschaft zu werden? Oder wartet er oder sie ab, dass man auf ihn oder sie zukommt?
Warum scheinen so viele Menschen erfolgreich Englisch zu lernen?
Zwei Gründe sind wichtiger als alles andere:
- die breiten Möglichkeiten, am englischsprachigen Leben teilzunehmen,
- und die hohe Motivation so vieler Menschen, ein Teil der englischsprachigen oder globalisierten Welt zu werden.
Beides passt gut zusammen: Gerade weil so viele Menschen Teil dieses englischsprachigen „Wir“ werden wollen, gibt es auch so viele Gelegenheiten dazu. Es bieten sich Konferenzen, Filme, geschäftliche Treffen, Clubs und tausende anderer Möglichkeiten in englischer Sprache an, und diejenigen, die motiviert sind, können daran teilnehmen.
Dies trifft für die meisten anderen Sprachen dieser Welt nicht zu. Die Motivation, ein Teil dieser Sprechergesellschaft zu werden, ist niedriger, demnach gibt es auch weniger Gelegenheit dazu. Ein geschäftliches Treffen zwischen einem Amerikaner und einem Usbeken wird ausnahmslos auf Englisch ablaufen, und auch ein Treffen zwischen einem Franzosen und einem Usbeken wird wahrscheinlich auf Englisch stattfinden. Für Sprachlerner stellt sich also die Frage, wie sehr sie bereit sind, am Leben in der Gastkultur teilzunehmen und den kulturellen Abstand zu überbrücken, und wie und wo sie dazu die Gelegenheit finden.
Um eine Sprache zu lernen, muss man an dem Leben teilnehmen, das mit ihr verbunden ist. Um teilzunehmen, muss man wiederum die Frage des „ich“ und „sie“ überwinden und daraus ein „wir“ machen.
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