Wenn man eine neue, faszinierende Gegend betritt, dann ist man erst mal erfreut. Das viele Neue wird meist als spannend wahrgenommen, vorausgesetzt man ist freiwillig gekommen. Wenn man jemand zu einem Umzug oder einer Reise überredet wurde, fehlt diese Phase der Euphorie häufig.
Der sogenannte Kulturschock besteht aus vier Schritten:
- Euphorie
- Schock
- Anpassung
- Überwindung
Nach der Euphorie – eine Phase, die zwischen mehreren Wochen und mehreren Monaten dauern kann – kommt häufig eine Phase der Ernüchterung. Man tritt in den Alltag ein mit all seinen Andersartigkeiten: Leute erscheinen z.B. langsam und nicht wirklich gewillt zu arbeiten. Die Bürokratie, in einem fremden Land als Ausländer unumgänglich, ist nicht verständlich, seltsam organisiert, Papiere werden verlangt, von denen man noch nie gehört hat (hier zum Beispiel muss man fast immer seine Unterschrift im Rathaus beglaubigen lassen).
Höflichkeitsformeln sind anders und kryptisch. Zumeist muss man eine Sprache lernen und der Anfang war vielleicht relativ einfach, jetzt verlangen andere, dass man diese oder jene Floskel doch kennen sollte. Und so weiter, man könnte endlos viele Beispiele hinzufügen.
Wie ich bereits im ersten Artikel erklärt habe, ist Schock hier das falsche Wort (von Cora DuBois in 1951 zum ersten Mal verwendet). Verwirrung ist besser: Die Kultur (siehe Erklärung hier), die ich kenne, ist nicht mehr korrekt. Leute verhalten sich anders als ich das erwarte. Sie erwarten auch von mir ein anderes Verhalten, als ich es kenne. Die intuitiven Regeln, die ich von meinen Eltern und von meiner Umgebung gelernt habe, gelten nicht mehr.
Beispiele:
- Als Deutscher bin ich es gewöhnt, relativ direkt zu kommunizieren. „Das gefällt mir nicht besonders“ kann ich problemlos zu Freunden oder auch auf der Arbeit sagen. In Afrika odre anderen Gegenden ist das sehr unhöflich. Vor allem älteren Leuten gegenüber muss ich (fast immer) zustimmen.
- „Is it not a good idea to do this or that?“ – „Ist es nicht eine gute Idee dies oder jenes zu tun?“ sagt ein amerikanischer Vorgesetzter zu seinem deutschen Mitarbeiter. Dieser denkt: Gute Idee ja, aber ich meine nicht, dass das richtig wäre. Dabei war dies eine Anweisung.
- Ein Afrikaner in Deutschland drückt nicht die Hand des Anderen bei der Begrüßung, sonder hält sie nur hin: wie bei ihm zuhause üblich. Das wird als Schwäche ausgelegt.
- Amerikaner erzählen häufig sehr viel von sich beim ersten Besuch. In den USA sucht man nach Gemeinsamkeiten, um sich kennen zu lernen. Dafür muss man ja Dinge erzählen. In Europa werden die Geschichten aus dem eigenen Leben als Arroganz und Prahlerei wahrgenommen.
Nach der Phase der Irritation kommt man langsam in die dritte Phase der Anpassung oder Adaptation. Hier wird auch von Erholung gesprochen (s. Wikipedia), was ich wiederum nicht so passend finde. Man lernt die neue Kultur kennen. Immer wieder kommen irritierende Erlebnisse und Krisen vor, aber man lernt mehr und mehr damit umzugehen. Häufig helfen einem dabei Freunde, die entweder ähnliche Schritte gegangen sind (z.B. Landsleute, die schon länger da sind) oder auch Einheimische mit Erfahrungen ihrerseits im Ausland. Man lernt Fragen zu stellen, die weiterhelfen. Häufig sehen auch diese anders aus, als man es kennt: indirekter oder direkter, als man es kennt. Spezifischer oder weniger spezifisch als zuhause, je nachdem.
In dieser Phase ist es wichtig, gezielt über die neue Kultur, Sprache und Eigenheiten des Landes nachzudenken und zu forschen. Fragen stellen, aber auch Lesen, Recherchieren und Kontakte pflegen kann sehr helfen. Wie so was konkret aussehen kann, hängt vom Land ab.
Aber auch hier wieder Beispiele:
- Hier in Afrika muss man sich Zeit nehmen und im Cafe „rumsitzen“. Man darf nichts zu schnell machen. Fragen stellen ist erlaubt, aber es kann sein, dass die Antwort nicht hilft. Daher sollte man dieselbe Frage mehrmals derselben und mehreren Freunden ähnlich stellen.
- In Deutschland und Frankreich ist Fragen erwünscht und gehört zur Höflichkeit. Wer nicht direkt fragt, ist nicht interessiert. Da viele Leute Erfahrungen im Ausland haben, kann man diese auch direkt, wenn auch höflich, zu seinen Erlebnissen befragen. Besonders Behördengänge können Angst machen. Hier kann man aber Freunde fragen, ob einen nicht begleiten können.
In der letzten Phase der „Überwindung“ oder „Anpassung“ (Wikipedia) ist man in die neue Kultur eingetaucht. Man versteht, was passiert, auch wenn man nicht immer korrekt handeln kann. Man kann intuitiv Dinge einordnen und richtig interpretieren, auch wenn sie einem noch nicht gefallen oder man weiterhin Probleme hat. Schließlich bleibt man Ausländer.
Viele, die den sogenannten Kulturschock gut verarbeitet haben, können präziser über die Kultur ihres Gastlandes reden als die Einheimischen selber. Sie fassen ihre Eindrücke zwar häufig in Worte, die diese nicht verwenden würden, können aber vieles genau benennen. Gerade wenn jemand analytisch begabt ist, kann er Erlebnisse sehr gut zusammen fassen und sehr präzise darstellen. Das wird auch häufig von Einheimischen geschätzt.
Eine besondere Spezialität sind Leute, die länger im Ausland gelebt haben, und dann wieder nach Hause kommen: Sie erleben häufig einen sogenannten „Reentry-Schock“, einen „Wiedereingliederungsschock“. Sie haben sich im Ausland natürlich verändert, aber ihr Heimatland ebenfalls. Bereits nach zwei bis drei Jahren kann dieser Unterschied so gravierend sein, dass jemand einen „Kulturschock“ bekommt, weil seine „Heimat“ so „seltsam“ geworden ist.
Diese Irritation kann viel heftiger sein und schwieriger zu überwinden als der normale Kulturschock im Ausland. Zum einen verstehen einen die alten Freunden nicht: „Du bist doch wieder zuhause“. Häufig denkt der Betroffene aber auch selber nicht über die Unterschiede nach und ist sich der Probleme nicht bewusst.
Wir werden daher einen extra Artikel diesem Phänomen widmen.
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