Das Hauptproblem beim Kulturschock – oder der Kulturirritation, wie wir sie nannten – ist häufig die fehlende Wahrnehmung. Irgendwas stimmt nicht! Ich fühle mich komisch, orientierungslos, hilflos, fehl am Platz, obwohl ich vieles kenne und zu verstehen glaube.
In Wirklichkeit verstehe ich gerade gar nichts.
Die grundlegenden Werte und Alltagsabläufe, über die man zu hause nicht wirklich nachdenken muss, stimmen nicht mehr. Und gerade hier ist der Knackpunkt: Man muss sonst nicht drüber nachdenken! Also tut man es jetzt auch nicht und erkennt damit nicht das Problem.
Wie helfe ich also?
Fragen stellen! Der andere, der sich in einer Kulturschocksituation befindet, versteht nicht, was los ist: Da kann doch eigentlich gar kein Problem sein! Mit gezielten Fragen kann ich versuchen, ihm zu helfen, seine Situation zu spiegeln und ihm damit zu zeigen, dass vorher normale Dinge jetzt nicht mehr normal sind:
- Was ist passiert? Was war anders als sonst?
- Das andere: Was war das? Wie fühlte sich das an? Passen Gefühl und Fakten zusammen? Was passt, was passt nicht?
- Menschen, Nachbar, Arbeitskollegen reagierten anders als erwartet: Was war anders? Wie würde ich das Andere normalerweise erklären? Was passt an der Erklärung jetzt nicht mehr?
- Was weiß ich über die Kultur des Landes hier, wo ich bin? Was sollte anders sein, nach dem was ich gehört oder gelesen habe?
Es kann gut sein, dass diese Frage am Anfang keine Reaktion zeigen. Das Gegenüber ist irritiert und weiß nichts mit den Zweifeln anzufangen. Das ist nicht weiter dramatisch. Es kann gut sein, dass erst nach einer Weile, zwei, drei Wochen oder auch mehr, eine Reaktion eintritt.
Am Besten reagieren Leute, die irgendwie vorbereitet wurden, denen jemand mal gesagt hat, dass eine Art Kulturschock eintreten könnte. Diese Leute haben häufig ein Seminar oder einen Kurs mitgemacht, der sie vorbereiten sollte. Trotzdem kann es sein, dass sie nicht erkennen, dass das Gelernte jetzt anwendbar wird, dass jetzt die Situation eintritt, auf die man sie vorbereiten wollte. Es ist aber meist einfach, ihnen jetzt den Ausweg zu eröffnen.
Was wenn Fragen nicht helfen?
Wenn es mit Fragen nicht geht oder ich für ein tieferes Gespräch keine Zeit habe oder keine Gelegenheit bekomme, hilft die Konfrontation. Wenn ich die lokale Kultur gut kenne und zumindest gut genug und besser als mein Gegenüber, kann ich direkte Fragen stellen: „Gibt es bei euch auch die Legalisierung einer Unterschrift? Wenn du dein Auto verkaufst, brauchst du dann ein Papier deiner Bank, dass es bezahlt ist?“
„Wenn du mit älteren Leuten redest, musst du in deinem Land ihnen auch immer zustimmen, egal was sie sagen?“ Evtl. muss ich die Situation noch konkreter ausschmücken, um mein Gegenüber besser auf den Punkt hin zu lenken.
Und was hilft sonst?
Geschichten aus dem eigenen Erleben erzählen. Hier besteht die Gefahr, dass meine Geschichte nicht passt oder der andere sich darin einfach nicht wiederfindet. Aber häufig kann ich ihn zum Nachdenken bringen. Häufig kann ich Ideen vermitteln, Zweifel und Verwirrung sortieren, Analysevorschläge machen. Das hilft.
Was sind die Voraussetzungen, damit ich wirklich helfe?
Was ist wichtig, um Ergebnisse zu erzielen?
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Ich muss Zeit mitbringen. So was geht nicht schnell.
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Ich muss vorsichtig sein. Leute mit Kulturschock können empfindlich sein. Oft sind sie schneller beleidigt als andere, auch schneller als sie persönlich es sonst wären.
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Wenn ich nicht meine Muttersprache reden kann, muss ich noch vorsichtiger sein. Groß ist die Gefahr, dass ich was Unbedachtes sage, dass ich Phrasen verwende, die nicht hundert Prozentig passen. Und dann ist mein Gegenüber ebenfalls beleidigt.
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Ich sollte Gemeinsamkeiten betonen: Die gemeinsame Geschichte ist jetzt hilfreich – wenn es eine gibt.
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Geduldig sein, immer wieder zuhören, evtl. sich wiederholen.
Zuletzt: Wenn nichts mehr gesagt werden kann, wenn alles missverstanden wird, wenn es komisch bleibt, ich selber langsam genauso ratlos bin wie mein Gegenüber: still werden, zuhören, in den Arm nehmen.
Und abwarten!
Und zuallerletzt: Optimistisch bleiben!
Viel Erfolg!