Wir hatten bereits betont: Schock ist das falsche Wort, Irritation ist besser. Die interne Kontrolle eigener Verhaltensweisen ist gestört. Man muss neu lernen, was richtig und falsch ist, wie man sich in bestimmten Situationen verhält, was höflich ist und was nicht, wie man sich korrekt begrüßt und verabschiedet, wie man mit anderen trauert und sich freut usw. Das kann sehr anstrengend werden.
In eine neue Kultur hineinwachsen ist ein Großprojekt. Hier einige Vorschläge, wie man vorgehen kann:
– Kulturberater: Es gibt überall Leute, die schon mal gereist sind, fremde Kulturen kennen, vielleicht sogar die eigene. Diese können als Berater fungieren. Man kann sie Dinge fragen, vorsichtig oder auch direkt. Ich habe einen Freund beim ersten Besuch immer mal wieder angesprochen mit dem Satz: „Ich habe da mal eine kulturelle Frage“. Das ist noch heute ein Witz zwischen uns. Und noch heute stelle ich ab und zu eine Frage, wo ich doch glaube, relativ gut schon in der Kultur drin zu sein. So weit man drin sein kann als Fremder.
Fragen und Zuhören
– Fragen stellen: Der Berater nützt nichts, wenn ich nicht frage. Und zwar immer wieder! Und immer wieder auch dasselbe, evtl. andere Leute, nicht nur meine besten Freunde. Höflichkeit ist ein ganz großes Problem: Wie kann ich angemessen höflich sein, das richtige sagen in der richtigen Situation? Was darf ich auf keinen Fall sagen oder tun? Was ist noch okay, was wäre passend und gut?
– Richtig gute Fragen stellen: Da muss ich ein bisschen drauf rum hacken. Die Frage: „Was sage ich, wenn ein Verwandter meines Freundes verstorben ist?“ ist gut und hilfreich. Aber ich stelle die Frage ja meistens aus einem aktuellen Anlass. Wichtig ist es dann, diese Frage später in neutraler Umgebung mit nicht gerade aktuell betroffenen Leuten zu wiederholen. Und dann kann ich auch noch fragen: „Was sage ich, wenn sein Vater starb? Wie kommuniziere ich Anteilnahme in besonderer Weise, wenn es seine Mutter war?“ usw. Es ist so: Wenn ich so eine Frage das erste Mal stelle, werde ich immer noch aus meiner alten Kultur heraus interpretieren. Stelle ich sie das zweite und dritte Mal, habe ich die erste Antwort im Kopf. Und spätestens beim vierten Mal rechne ich nicht mehr mit einer Antwort, die meiner eigenen Kultur auch nur ähnlich ist. Es lohnt sich, dieselbe Frage mehrmals zu stellen.
[pullquote]Kulturberater, Fragen stellen, Zuhören, Analysieren[/pullquote]
– Zuhören: Eigentlich selbstverständlich, macht man aber immer wieder falsch und zwar aus dem einfachen Grund, dass die Leute auch an der eigenen Kultur und Geschichte interessiert sind und selber Fragen stellen. Da besteht die Gefahr, dass man selber viel redet. Es lohnt sich auch bei interessanten Gesprächen, sich zurückzuhalten und nur zuzuhören. Die eigenen Beiträge lenken die Diskussion und das ist manchmal nicht gut.
– Sprache lernen: Ganz bewusst habe ich das erst jetzt aufgeführt. Natürlich ist es gut, wenn man in der Sprache des Gastlandes reden kann. Das ist aber nicht immer möglich. Diplomaten und Experten, die sich für ein bis drei Jahre in einem Land aufhalten und viele Aufgaben bekommen, haben kaum die Zeit, sich in die Sprache rein zu arbeiten. Sprache lernen, vor allem wenn es keine Nachbarsprache der eigenen ist, braucht 500 Stunden, um auf ein halbwegs gutes Alltagsniveau zu kommen. Das ist häufig nicht machbar. Trotzdem kann es sehr helfen, wenn man ein wenig über die Sprache weiß, grüßen kann, ein paar nette oder wichtige Phrasen hin bekommt. Das schafft Sympathien, auch wenn die sonstige Kommunikation über Englisch, Französisch oder eine andere Mittlersprache abläuft.
Sich bewußt werden und analysieren
– Analysieren: Was läuft hier ab? Was ist anders, rein äußerlich? Was steckt dahinter? Habe ich eine Idee, gibt es Anhaltspunkte? Kann ich das fragen oder verstehe ich noch nicht genug, um die Frage gut zu formulieren? Was sagt meine Intuition? Gerade Frauen haben erstaunlicherweise eine sehr gute Intuition, die sehr häufig richtig liegt. Aber auch Männer sollten die ihre nicht unterschätzen. Wenn der Kopf nicht weiß, was er denken soll, ist es gut, sich auf sein Gefühl zu verlassen.
– Sich über Klischees und Vorurteile klar werden: Klar, „Afrikaner sind faul und hängen nur auf der Straße und in Cafés herum!“ Ich hatte so was Ähnliches mal indirekt behauptet und wurde von einem Bekannten deutlich kritisiert. Er zeigte, dass Männer nicht zu hause sein dürfen, weil das Haus Frauenterritorium ist. Und Cafés sind sehr häufig Arbeitsvermittllungsstellen: Wenn man jemanden zur Mitarbeit sucht, geht man in ein Café und fragt, wer dies oder jenes kann oder einfach Zeit hat mitzuhelfen. Ich hätte jetzt gedacht, dass ich schon frei bin von solchen Klischees und stellte fest: Bin ich nicht.
– Es ist nicht schlechter nur anders: Dies ist typischer und häufiger Ratschlag. Aber er hilft am Anfang nicht. Man empfindet die neue Kultur einfach als schlechter. Und für einen persönlich rein subjektiv ist das auch richtig. Auf Dauer ist der Rat aber richtig und gut. Das menschliche Leben ist in vielen Dingen vorhersehbar, also müssen die Leute hier wie zu hause auch kochen, einkaufen, Bürokratie erledigen und ein Telefon anmelden: Die Frage ist nur, wie das hier geht. Und auf Dauer, warum sie es anders machen.
– Fehler machen: Keine Angst vor Fehlern! Sie können sehr peinlich sein und auch weh tun. Sie sind aber unausweichlich! Man kann nicht immer alles richtig machen. Wie beim Sprache lernen ist letztlich der der Beste, der am wenigsten Angst vor Fehlern hat und damit am schnellsten lernt.
– Aber es gilt auch: Persönlichkeit ist stärker als Kultur! Das bedeutet, dass bei allen Klischees und allen auch richtigen Einschätzungen einer Kultur es immer wieder vorkommt, dass eine Person mit ihrer Persönlichkeit völlig anders ist als erwartet, anders als die Kultur das erwarten ließe. Sie hat sich vielleicht sogar bewusst entschieden anders zu sein, siehe das Beispiel Punks in der westlichen Welt. Da ist es offensichtlich. Es muss aber bei anderen nicht so eindeutig sein.
– Und ein allerletzter Punkt: Bleibe optimistisch, Kultur ist erlernbar, auch wenn wir immer wieder Fehler machen. Man kann ans Ziel kommen und verstehen, wie eine Gemeinschaft tickt und wie man in ihr klar kommt.