Teil 1: Von Außerirdischen und indigenen Völkern
Alle Sprache, die nicht natürliche Sprachen sind, sich also nicht historisch entwickelt haben und von Menschen gesprochen (oder in Gebärden ausgedrückt) werden, nennt man in der Sprachwissenschaft künstliche Sprachen oder konstruierte Sprachen. Dazu gehören die Plansprachen wie Esperanto, fiktionale Sprachen wie Klingonisch aus Star Trek oder Quenya aus Der Herr der Ringe und formale Sprachen wie SQL, HTML oder LaTex. Auch Spielsprachen von Kindern, beispielsweise das französische Verlan, gehören im weitesten Sinne zu den konstruierten Sprachen, wie auch Sonder- und Geheimsprachen. International wird für alle konstruierten Sprachen auch das englische Wort ConLanguages verwendet (aus constructed languages; für Linguisten: ein klassisches Beispiel für ein Kofferwort oder portmanteau).
Die verschiedenen Arten künstlicher Sprache will ich Euch in einer kleinen Reihe von Artikeln vorstellen. Fangen wir heute mit den fiktionalen Sprachen an: Sie sind ein wichtiger Teil von fiktionalen Welten und begegnen uns in Fantasy- und Science-Fiction-Büchern und –Filmen. Die bekanntesten Beispiele kommen aus Star Trek, Star Wars und natürlich Der Herr der Ringe. Und in auffallend vielen Fällen treffen wir dabei auf Elemente, die aus den indigenen Sprachen Amerikas stammen.
Der Autor des Herrn der Ringe J.R.R. Tolkien war Philologe und hatte schon als Kind versucht, eigene Sprachen zu erfinden. Für die Völker von Mittelerde schuf er eine Vielzahl von Sprachen: für die Zwerge, die Orks, die Menschen und die Elben. Die elbischen Sprachen bilden eine ganze Sprachfamilie, in der Tolkien die wissenschaftlichen Regeln des historischen Lautwandels zur Anwendung brachte. Das hochelbische Quenya beruht auf der lateinischen Grammatik und auf der Phonetik des Finnischen und Griechischen, Sindarin hingegen vereint in Phonetik und Grammatik walisische und altgermanische Elemente. Inzwischen haben Fans dieser Sprachen komplette Sprachbeschreibungen aufgestellt, die teils auf Tolkiens Aufzeichnungen beruhen, teils aus den im Herrn der Ringe vorkommenden Texten abgeleitet sind.
Klingonisch war die erste Sprache, die gezielt für eine außerirdische Lebensform in Science-Fiction-Filmen entwickelt wurde. Bis zu diesem Zeitpunkt wurden deren Sprachen meist durch ein sinnloses Kauderwelsch oder durch Töne wie Piepen oder Zwitschern wiedergegeben. 1984 aber erhielt der Sprachwissenschaftler Marc Okrand von der Filmgesellschaft Paramount den Auftrag, für die Klingonen in Star Trek eine vollständige Sprache zu entwickeln. Okrand war Spezialist für die indigene Sprachen Amerikas und so stammen wesentliche Elemente der Phonetik aus dem Tlingit, das im Südosten Alaskas und an der kanadischen Pazifikküste gesprochen wird. Den charakteristischen Laut –thl- [tɬ] übernahm Okrand aus dem mexikanischen Nahuatl. Außerdem haben Linguisten phonetische Elemente des Hindi, Arabischen und Jiddischen entdeckt. Um das Exotische der Sprache zu betonen, wählte Okrand die nur äußerst selten auftretende Satzfolge Objekt – Prädikat – Subjekt , die z.B. für das Hixkaryana, einer karibischen Sprache aus dem Amazonasgebiet beschrieben ist. Die Begeisterung der „Trekkies“ für diese Sprache führte dazu, daß inzwischen nicht nur umfangreiche Wörterbücher und Grammatiken des Klingonischen, sondern auch eine Hamlet-Übersetzung vorliegen und das Klingon Language Institutemehr als 2.500 Mitglieder hat, die regelmäßig diese Sprache praktizieren.
Die ersten Star-Wars-Filme benutzen noch leicht veränderte natürliche Sprachen für die außerirdischen Spezies: Meister Yoda spricht mit der Satzstellung Objekt- Subjekt-Verb, die ebenfalls sehr selten ist und z.B. in Brasilien in der indigenen Sprache Xavante auftritt. Jabba der Hutte gibt Laute von sich, die dem Quechua nachgebildet sind. Inzwischen ist es aber für größere Filmproduktionen schon fast selbstverständlich, daß Linguisten die Kunstsprachen entwickeln. Beispiele sind Na’vi aus Avatar – Aufbruch nach Pandora, das von Paul Frommer konstruiert wurde, oder Dothrakisch und Valyrisch aus Game of Thrones, von David J. Peterson erstellt. Diese Sprachen verfügen über einen umfangreichen Wortschatz und eine klar definierte Grammatik. Fans erstellen Wörterbücher, Wikis und Blogs, schreiben literarische Texte und halten Treffen ab, auf denen die Sprache unterrichtet und gesprochen wird. Sie transportieren aber alle auch ihre ganz eigene Kultur, auch wenn diese fiktional ist. Und so kritisiert die Linguistin Arika Okrent die Übersetzung des vulkanischen Grußes „Leben lang und in Frieden“ ins Klingonische yIn nI‘ je chep: „Dies ist etwas, was ein Klingone nie sagen würde“.
Adiaŭ kaj vidi vin baldaŭ: Im zweiten Teil dieser Reihe werden wir uns mit den Plansprachen beschäftigen.
Ein Kommentar