Es war einmal ein wohlhabender Kaufmann in Tunis, der viele Geschäfte, ein Haus im Stadtzentrum und eine Sommerresidenz in Sidi BouSaid besaß. Er hatte zudem ein Landgut auf dem Hügel von Sidi Yahia und einen Olivenhain in Tebourba. Er beschäftigte viele Diener und Arbeiter. Zu jeder seiner Karawanen gehörten mindestens zwanzig bis dreißig Kamele, und seine Waren stammten aus den verschiedensten Teilen der Welt.
Seine Frau gebar ihm einen Sohn. Dieser wuchs heran und ging bald in die Koranschule. Als der Junge sein drittes Schuljahr beendet hatte, wollte sein Vater, dass er auch Kaufmann wurde wie er selbst, damit er nach seinem Tod die Geschäfte weiter führen konnte. Jeden Freitag nahm der Kaufmann ihn mit in den Laden, um ihm zu zeigen, wie man mit Menschen verhandelt. Manchmal, wenn eine Karawane ankam, durfte er dabei sein, um zu sehen, wie man Waren empfängt und absendet.
Als der Junge sein viertes Schuljahr beendet hatte, sagte der Vater zu ihm: „Jetzt hast du genug gelernt. Von nun an sollst du bei mir im Laden bleiben und Kaufmann werden.“ Seit dieser Zeit half er seinem Vater im Geschäft. Der ließ ihn dort ab und zu allein. Zunächst jedoch nur für ein, zwei Stunden, um ihn mit der Arbeit vertraut zu machen. Manchmal schickte er ihn ganz allein in den Laden und gab vor, krank zu sein, folgte ihm dann aber nach einer gewissen Zeit, um zu sehen, wie er allein zurecht kommt. Und so ließ er ihn allmählich mehr und mehr allein arbeiten, mal einen ganzen Morgen, mal einen ganzen Abend und später einen ganzen Tag. Der Junge wurde ein wahrer Kaufmann, auf den sein Vater sich verlassen konnte. Ohne Bedenken konnte er ihn bald einen ganzen Sommer die Geschäfte allein führen lassen, während er sich um sein Landgut kümmerte. Er kam nur noch einmal in der Woche in das Geschäft, um die Rechnungen zu begleichen.
Nach einer Weile beschloss der Kaufmann, seinen Sohn zum Handel in eine andere Stadt zu schicken. Er belud die Kamele, gab ihm seine besten Träger mit und ein Pferd und forderte ihn auf, die Waren in der anderen Stadt zu verkaufen. Der junge Mann machte sich mit seiner Karawane und den Trägern auf den Weg, und sie erreichten bald die Wüste. Nach zwei, drei Tagen kamen sie in eine Oase. Da ließen sie sich nieder, aßen zu Abend und danach schliefen sie dort, während einer von ihnen Wache hielt.
Mitten in der Nacht wachte der junge Mann auf. „Geht es dir gut?“ fragte die Wache. „Ja, mir geht es gut“, sagte er, „ich werde eine Weile herum spazieren“, und er lief dort herum, während es langsam Morgen wurde. Plötzlich sah er, wie sich etwas auf dem Boden bewegte. Er bekam für eine Sekunde Angst und ging ein wenig zurück. Er dachte, es sei eine Schlange, aber als er sich näherte, stellte er fest, dass es sich um einen Wolf handelte, der am Boden lag und sich kaum bewegen konnte und dessen Zähne zu alt waren, um zu jagen. „Wofür lebt dieser Wolf noch?“ fragte sich der junge Mann, „wäre es nicht besser, wenn ich ihn töte und ihn von seinem Leiden befreie? Wie überlebt er überhaupt? Wie ernährt er sich? Er kann kaum aufstehen, geschweige denn auf die Jagd gehen.“
Während er über diese Fragen nachdachte, hörte er ein Brüllen. Er kletterte vor Angst auf den Baum, unter dem der Wolf lag. Als sich das Brüllen näherte, begann sein Herz schneller zu schlagen, denn er sah einen Löwen von ungeheurer Größe auf sich zukommen, der einen Stier hinter sich zog. Sobald der Löwe den Baum erreicht hatte, begann er den Stier zu fressen, wobei er seine Knochen stückweise zermalmte. Als er satt war, ging er zu einem nah gelegenen Teich, stillte seinen Durst, brüllte noch ein paarmal und lief davon.
Die ganze Zeit hielt sich der junge Mann an den Ästen fest und hatte alles genau beobachtet. Als der Löwe verschwunden war, bewegte sich der Wolf und versuchte aufzustehen. Es gelang ihm, die Reste des Stiers zu erreichen und er begann zu fressen. Nachdem er satt war, legte er sich zur Ruhe und konnte danach zum Teich gehen, um zu trinken.
Als es hell geworden war, kam der junge Kaufmann vom Baum herunter und ging zu seinen Kameraden. „Lasst uns umkehren“, sagte er. „Was ist los? Ist etwas nicht in Ordnung?“ fragte der Wachmann. „Alles ist gut. Wir werden in unsere Stadt zurückkehren“, antwortete der junge Mann.
In ihrer Stadt angekommen, hielt die Karawane im Morgengrauen vor dem Hause des Vaters. Der Kaufmannssohn klopfte an die Tür und fand seinen Vater betend. „Guten Morgen Vater.“ – „Guten Morgen“, erwiderte der überrascht, „was ist los? Warum bist du hier? Warum bist du nicht in die andere Stadt gegangen? Bist du müde oder krank geworden?“ fragte er besorgt. „Nein, Vater, mir geht es gut, aber ich werde dir erzählen, was ich gesehen habe“, und er erzählte ihm den Vorfall mit dem Wolf und dem Löwen.
Und er deutete dieses Erlebnis so: „Wenn Gott diesem hilflosen Tier seine Nahrung gibt, dann kann er es auch sowohl für die Arbeiter als auch für die Arbeitslosen. Gott ist für die Verteilung des Reichtums seines Volkes verantwortlich. Warum sollten die Menschen dann sich der Schwierigkeiten des Arbeitens und der Risiken des Lebens aussetzen? Deshalb, lieber Vater, bin ich zurückgekommen.“
Der alte Mann dachte lange nach, bevor er die Antwort gab: „Hör mir gut zu, mein lieber Sohn. Ich habe dich geschickt, um durch diese Nöte zu gehen, wie du sagst, damit du ein Löwe wirst, zu dem die Wölfe zum Fressen kommen. Ich möchte nicht, dass du ein hungriger Wolf wirst, der von den Resten der Löwen überlebt. Ich möchte nicht, dass du der Gnade der Menschen ausgeliefert bist. Geh zurück auf die Straße, da du die Waren noch nicht entladen hast und die Leute dich noch nicht gesehen haben. Sonst werden sie dich und mich auslachen.“
Der junge Mann kam wieder zur Besinnung und sagte: „Was du sagst ist wahr, mein Vater.“ Er ging zurück zu seiner Karawane und machte sich wieder auf den Weg.