Immer wieder bekommen wir Anfragen vom Englischen oder Französischen in die nordafrikanischen Dialekte zu übersetzen. Diese arabischen Varietäten sind laut Ethnologue und anderen Quellen eigene Sprachen, werden aber häufig als Dialekte bezeichnet. Dies hat historische und politische Gründe.
Das Arabische in Lybien, Tunesien, Algerien und Marokko ist weiter entfernt vom Standardarabischen oder Modern Standard Arabic, welches die offizielle Sprache dieser Länder ist. In der Grammatik einfacher, vom Vokabular wesentlich beschränkter und häufig mit Lehnwörtern aus anderen, meist europäischen Sprachen durchsetzt, ist das Arabisch des Volkes ziemlich anders und damit eine eigene Sprache für sich.
Warum ist es jetzt schwieriger, in diese zu übersetzen? Warum nehmen wir normale Preise für diese Übersetzungen und nicht weniger? Und warum lehnen wir die Anfrage sogar manchmal ab, obwohl sie doch „einfach“ zu sein scheint?
Dafür gibt es mehrere Gründe.
Der erste ist die Sprache selber. Sie ist nicht offiziell, es gibt keine offizielle Grammatik, die ein Expertenteam vielleicht zusammengestellt hätte. Es gibt keine genormte Orthographie. Das bedeutet, die Sprache ist nicht klar erfasst. Zwar gibt es natürlich trotzdem eine Grammatik, sowohl de facto als auch linguistisch erfasst. Es gibt eine Art Rechtschreibung, die mehr oder weniger akzeptiert ist. Aber es gibt keine Norm, keine offizielle Fassung, die von den Regierungen beschlossen worden wäre. Damit sind „offizielle“ Übersetzungen natürlich schwierig.
Zum zweiten gehen die Sprachen ineinander über: West-Tunesisch ist eigentlich wie Ost-Algerisch, aber anders als das Arabisch von Algier. Oran in West-Algerien spricht schon sehr ähnlich wie Ost-Marokko. Das bedeutete in der Vergangenheit, dass unser Mitarbeiter in Süd-Tunesien den Text aus Tunis nicht immer gut verstanden hat. Im Gespräch kommt man schnell klar, aber der fixierte Text wird schnell komplizierter.
Der dritte Grund ist das Ansehen, das Prestige dieser sogenannten Dialekte: Sie haben keines. Für viele Leute auf der Straße ist dies keine Variante des Arabischen, die einen Wert hat. Schrift- und Nachrichtensprache ist das Standardarabische und das ist die eigentlich wichtige Sprache für sehr viele Leute. Dieses niedrige Ansehen geht so weit, dass viele meinen, die sogenannte Dialekte der Straße hätten keine Grammatik, keine Regeln. Und daher auch keinen Wert.
Der vierte Grund ist ein ganz praktischer: Weil die Anfragen zum Dialekt selten sind und die Projekte häufig speziell, gelten die normalen Regeln für Übersetzungsarbeiten nicht oder nur eingeschränkt. Es muss viel mehr abgesprochen und diskutiert werden. Wenn vom arabischen Dialekt in eine andere Sprache übersetzt werden soll und damit der Ausgangstext im Dialekt vorliegt, läuft es häufig noch ganz gut. Anders herum ist es weitaus schwieriger, weil man sich auf viele Dinge erst einigen muss. Es gibt also wesentlich mehr Diskussionsbedarf.
Aus diesen Gründen ist unser normaler Preis für Übersetzungen auch für die Dialekte gültig. Auch wenn Tunesisch die Muttersprache unserer Mitarbeiter in Tunis ist und sie schnell und gut damit arbeiten können, gibt es häufig organisatorische und andere Probleme am Rande, die dann Mehrarbeit erfordern.